Unsere Empfehlungen

Die Buchhändlerin empfiehlt im März 2024

empfohlen von:

Elvira Hanemann

Elvira Hanemann

So forsch, so furchtlos Andrea Abreu

gebunden

Die Buchhändlerin empfiehlt im August 2022

Andrea Abreu, 1995 auf Teneriffa geboren, veröffentlichte nach mehreren Lyrikbänden mit „So forsch, so furchtlos“ 2020 ihren ersten Roman. Sie landete damit in Spanien einen Überraschungserfolg, der in 19 Sprachen übersetzt wurde.

Erzählt wird die Geschichte einer Mädchenfreundschaft, zwischen zwei sehr unterschiedlichen 10- bis 11-Jährigen in Teneriffa in den 90ern. Die intensive, aber nicht wirklich gleichberechtigte Freundschaft wird aus dem Blickwinkel der schüchternen und kindlicheren Freundin erzählt. Sie blickt auf zu Isora und folgt ihr in allem, was diese tut. Isora lebt bei ihrer Großmutter, die sie sehr schlecht behandelt, immer wieder zu Diäten zwingt und sie herbe beschimpft. Doch sie setzt sich über all das hinweg, sie ist „forsch und furchtlos“.

Wie die beiden versuchen, ihrem von Armut und auch Gewalt geprägtem Leben schöne Seiten abzugewinnen, in dem sie sich am schmutzigen und trostlosen Kanal in eine schöne Strandszene hineinträumen etwa, das ist beeindruckend.

Die Vorpubertät mit erstem Interesse an Sexualität, aber auch mit allen schmerzlichen Erfahrungen schildert Abreu in einer sehr direkten und sehr körperlichen Sprache. Es geht rauh zu – und doch klingt alles echt und nachvollziehbar.

Die Konflikte der beiden auch miteinander ebenso wie ihre große Liebe – ja, das Wort ist nicht zu hoch gegriffen – zueinander, berührten mich als Leserin sehr. Auch die Sicht von armen Inselbewohnern auf die wie Aliens wirkenden Touristen fand ich spannend.

Eine kleine Warnung muss ich dennoch aussprechen: die derbe Sprache mag manche abschrecken. Ich selbst fand es aber passend zu der Geschichte, die dadurch an Glaubhaftigkeit nur gewinnt.

Ein starkes Debüt von einer Autorin, von der man sicher noch mehr hören wird!

zum Produkt € 20,00*

empfohlen von:

Elvira Hanemann

Elvira Hanemann

Frei Lea Ypi

gebunden

Die Buchhändlerin empfiehlt im Juli 2022

Lea Ypi, Frei

Suhrkamp Verlag
Übersetzt von Eva Bonné 28 €

Lea Ypi wurde 1979 in Tirana geboren. Sie ist Politikwissenschaftlerin und Professorin für politische Philosophie. Sie lebt mit ihrer Familie in London, hatte aber auch schon eine Gastprofessur an der FU in Berlin. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in den Bereichen Demokratie, Rechtstheorien, Fragen der Migration und politische Ideen der Aufklärung, des Marxismus sowie die Geistesgeschichte des Balkans.

Mit „Frei – Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“ veröffentlichte sie zum ersten Mal ein literarisches Werk. Allerdings keinen Roman, sondern sie erzählt ihre eigene Geschichte, ihr Leben als Kind und Jugendliche in Albanien.

Ein Land, über das die meisten von uns immer noch sehr wenig wissen. Dem kann mit diesem sehr persönlichen und gleichzeitig sehr informativen Buch abgeholfen werden!

Wie sie als kleines Mädchen absolut überzeugt ist davon, dass „die Partei“ immer Recht hat, dass das was ihr in der Schule beigebracht wird über Albanien als das Land, um das alle Welt sie beneidet, richtig und gut ist. Erst nach und nach merkt sie, dass ihre Eltern und ihre Großmutter eigentlich ganz anders denken und dass es einen Grund hat, dass kein Foto von Enver Hodscha in deren Wohnung hängt.

Schlangestehen für Lebensmittel, Knappheit bei der Energieversorgung – all das ist für sie einfach normal, kein Grund zum Traurig sein.
Das Chaos, das in ihr Leben einbricht, kommt erst dann als 1990 das Regime zusammenbricht. Kommt danach die große „Freiheit“?

Was frei sein bedeutet und wer es definiert, ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Lea Ypi tut es auf ihre Weise – und sie tut es so, dass wir als Lesende gefesselt sind.

zum Produkt € 28,00*

empfohlen von:

Elvira Hanemann

Elvira Hanemann

Die Diplomatin Lucy Fricke

gebunden

Die Buchhändlerin empfiehlt im Juni 2022

Lucy Fricke, Die Diplomatin
Claassen Verlag 22 €

Lucy Fricke, eine Berliner Autorin, legt mit ihrem fünften Buch „Die Diplomatin“ einen außerordentlich guten Roman vor.

Friederike Andermann ist eine knapp 50 Jahre alte Diplomatin. Wir lernen sie als Botschafterin zuerst in Uruguay und später in der Türkei kennen. Sie ist alleinstehend, kommt aus einer Arbeiterfamilie und hat sich durch Intelligenz und Fleiß hochgearbeitet.
Der Wille, die Welt ein wenig besser zu machen ist ihr noch nicht ganz ausgetrieben worden.

Doch langsam beginnt sie an ihrem Beruf zu zweifeln. Willkürliche Festnahmen, Prozesse, die sich ohne Anklage ewig hinziehen, an der Oberfläche gute Beziehungen zwischen den Ländern, darunter aber nur Misstrauen, Lügen und Blockaden.

Es geht um Menschen, die in der Türkei im Gefängnis sitzen oder mit einer Fußfessel ihre Wohnung nicht verlassen dürfen, um Deutsch-Türken, die wegen einer Jahre zurückliegenden Demo bei Ankunft in der Türkei in Haft kommen. Es geht um Rechtsanwältinnen, die versuchen, ihre Klienten zu vertreten, aber an der türkischen Justiz scheitern. Und es geht um eine Frau, die – trotz aller Bürokratie, trotz Desillusionierung, trotz Misserfolgen, ihren ursprünglichen Wunsch, die Welt ein wenig besser zu machen, nicht aufgibt.

Fricke schreibt mit trockenem Humor, spannend, mit großer Klarheit und so flüssig, dass ich bedauert habe, nicht noch viele Seiten weiterlesen zu dürfen.

Das Buch hat der Autorin ein Einreiseverbot in die Türkei eingebracht. Die Grenzen, aber auch die Möglichkeiten von diplomatischem Arbeiten sind nach der Lektüre verständlicher geworden.

Eine ungewöhnlich gelungene Mischung aus einem politisch-zeitkritischen Spannungsroman und einer fein gezeichneten Frauenfigur.

zum Produkt € 22,00*

empfohlen von:

Elvira Hanemann

Elvira Hanemann

Die Jagd Sasha Filipenko

gebunden

Die Buchhändlerin empfiehlt im Mai 2022

Sasha Filipenko, Die Jagd

Übersetzt aus dem Russischen: Ruth Altenhofer
Diogenes Verlag 23 €

Sasha Filipenko, geb. 1984 in Minsk, ist ein erfolgreicher belarussischer Schriftsteller. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor und als Fernsehmoderator. 2020 hat er Russland verlassen und lebt heute in Westeuropa, gelegentlich auch in Berlin.
Mark Smyslow ist Musiker und gibt ein Konzert in der Schweiz, kurz vorher besucht ihn überraschend sein Bruder Lew, mit dem er fast keinen Kontakt mehr hatte. Die Geschichte, die Lew ihm erzählt, verstört nicht nur ihn, sondern auch uns Lesende.

Lew wurde auf Anton Quint, einen kritischen Journalisten und jungen Familienvater angesetzt. Ein Journalist, der es wagt, für Aufklärung auch über die schmutzigen Geschäfte von Oligarchen und „dem Chef“ zu sorgen. Trotz der Bitten seiner Frau, vorsichtig zu sein, lässt er sich nicht einschüchtern. Doch die Methoden, die Lew und sein Jugendfreund Kalo nutzen, sind perfide. Eine regelrechte Jagd auf ihn beginnt.

Filipenko nutzt als äußeren Rahmen die Form einer Sonate, auch lässt er mehrere Erzählstränge nebeneinander laufen. Ich fand die Konstruktion des Romans sehr geglückt. Es gelingt ihm, alles so zusammenzufügen, dass sich offene Fragen am Ende auflösen.
Ein sehr spannender Gesellschaftsroman, aber auch ein explizit politischer Roman, der – bereits vor 6 Jahren geschrieben – sehr erhellende Schlaglichter auf die russische Gesellschaft, auf die Politik, die Probleme der freien Presse und auf das Leben der Menschen dort wirft.

Nicht verschweigen möchte ich, dass das Buch nichts für Menschen auf der Suche nach Happy-Ends und leichter Lektüre ist.

Es gilt, einen talentierten und engagierten Schriftsteller zu entdecken – ich freue mich bereits auf weitere Bücher von ihm!

zum Produkt € 23,00*

empfohlen von:

Elvira Hanemann

Elvira Hanemann

Demut Szczepan Twardoch

gebunden

Die Buchhändlerin empfiehlt im März 2022

Szczepan Twardoch, Demut
Übersetzt von Olaf Kühl
Rowohlt Verlag 25 €

Twardoch, preisgekrönter Schriftsteller aus Oberschlesien, ist auch den deutschen Leser:innen kein unbekannter mehr. Mit „Morphin“, „Drach“ spätestens aber seit den großartigen Romanen „Der Boxer“ und „Das schwarze Königreich“ hat er sich einen Namen gemacht.
Sein neues Buch „Demut“ erzählt die Geschichte von Alois Pokora, einem jungen Soldaten, der die grauenhaften Erlebnisse während des 1. Weltkriegs nicht verwinden kann. Doch viel Zeit sich mit seinen Traumata zu beschäftigen, bleibt ihm nicht, denn in Berlin gerät er in den Strudel der Wirren der jungen Räterepublik. Er schließt sich den Spartakisten um Liebknecht und Luxemburg an. Doch so eindeutig ist seine politische Richtung nicht, auch ob er sich mehr als Deutscher oder als Pole oder gar als Schlesier fühlt, das hängt immer auch ab von den Menschen um ihn herum.

Er, aus einer armen Bergarbeiterfamilie stammend, als Kind vom Vater übersehen und von Mitschülern gemobbt, dann aber als erster der Familie Student, lässt sich oft treiben und in verschiedene Richtungen drängen. Deutsche Nationalisten wollen ihn, Träger des Eisernen Kreuzes, ebenso wie polnische für die nationale „Sache“ gewinnen – doch mehr als Politik interessiert ihn seine Jugendliebe Agnes. Man versteht bald, dass ihm diese sicher nicht guttut, doch er selbst versteht es lange nicht. Und dann als er es versteht, ist es zu spät – oder doch nicht?

Twardoch gelingt es, in seiner unnachahmlichen bildmächtigen Sprache hautnah Geschichte zu vermitteln, packende Figuren zu zeichnen und uns Lesende mitzunehmen und in einen Strudel der Gefühle, der Widersprüche zu werfen. Was Twardoch von vielen anderen Schriftstellern unterscheidet, ist seine Drastik, seine Wucht und sein kompromissloser Stil.
Ein Ausnahmetalent!

Elvira Hanemann

zum Produkt € 25,00*

empfohlen von:

Elvira Hanemann

Elvira Hanemann

Das Versprechen Damon Galgut

gebunden

Die Buchhändlerin empfiehlt im Februar 2022

Damon Galgut, Das Versprechen
Übersetzt von Thomas Mohr
Luchterhand Verlag 24 €

Bücher, die mit dem Bookerpreis ausgezeichnet wurden, haben mich eigentlich noch nie enttäuscht. Ich kenne nicht alle, aber die ich kenne haben sich alle gelohnt. Das war ein Grund zu diesem Buch zu greifen, der andere, dass ich vor Jahren „Der gute Doktor“ von Galgut gelesen und für sehr gut befunden hatte. Und wieder bestätigt sich mein positives Vorurteil gegenüber dem Bookerpreis!

Damon Galgut, 1963 in Pretoria geboren, ein weißer südafrikanischer Schriftsteller, hat mit „The Promise“ einen Familienroman geschrieben. Es geht um die Familie Swart, aber auch um die jüngere Geschichte Südafrikas.

Mit dem frühen Tod der Mutter und deren Beerdigung setzt die Geschichte ein. Rahel hat sich am Ende ihres Lebens dem Judentum, ihrer ursprünglichen Religion, wieder zugewandt, was den christlichen Teil der Verwandschaft verärgert. Ein Streitpunkt ist auch Rahels letzter Willen. Ihr Mann hatte ihr auf dem Totenbett versprochen, dass Salome, ihr Dienst“mädchen“, eine Schwarze, das Haus, in dem sie lebt und das auf der Farm der Swarts steht, erben sollte.

Keinen von der Familie kümmert das weiter. Nur Amor, die jüngste Tochter versucht das Versprechen wach zu halten. Doch eine 13-jährige kann da nicht viel ausrichten.

Das Leben der Familienmitglieder wird nun über viele Jahrzehnte hinweg beschrieben, Amor, ihre ältere Schwester und der Bruder Anton, der Schriftsteller werden möchte, aber dem Alkohol verfällt, bilden den inneren Kern des Romans. Enttäuschte Lebenserwartungen, hoffnungsvolle Anfänge und traurige Enden verbindet Galgut mit den ebenfalls enttäuschten Erwartungen an ein besseres Südafrika nach dem Fall der Apartheid.

Ein Roman, der den Preis verdient hat, eine bereichernde Lektüre!

zum Produkt € 24,00*

empfohlen von:

Elvira Hanemann

Elvira Hanemann

Welten auseinander Julia Franck

gebunden

Die Buchhändlerin empfiehlt im November 2021

Julia Franck
Welten auseinander

Fischer Verlag 23 €

Julia Franck, die 2007 den Deutschen Buchpreis für „Die Mittagsfrau“ erhielt – einige erinnern sich vielleicht an eine sehr intensive und schöne Lesung mit ihr in unserer Buchhandlung – hat nun nach einer langen Pause ein neues Buch veröffentlicht.

Wie in einigen ihrer vorherigen Romane verarbeitet sie auch hier ihre eigene Familiengeschichte. Diesmal geschieht das jedoch auf noch persönlichere Art und Weise: das Mädchen Julia steht im Mittelpunkt der Geschichte.

Dieser Roman kam für mich wie ein unerwartetes Geschenk. Da ich ihre anderen Bücher bereits mit großem Gewinn und großer Freude gelesen hatte, war ich bestürzt, als ich hörte, sie habe aufgehört zu schreiben. Ich bin nun umso froher, dass es anders gekommen ist.

Julia wird in Ostberlin als Zwillingsschwester geboren. Der Vater spielt sehr lange in ihrem Leben keine Rolle. Die Mutter ist Schauspielerin und mit den Kindern schwer überfordert. So wird „das Mädchen“ eine lange Odyssee durch Pflegefamilien, Heime, Aufenthalten bei Verwandten und Freunden, und später durch Wohngemeinschaften durchmachen, bis sie zur Ruhe kommen darf. Immer wieder auch macht sie Station bei ihrer hochinteressanten, aber harten Großmutter, der berühmten Bildhauerin Ingeborg Hunzinger.

Ein sehr berührendes, sehr ehrliches und auch spannendes Buch. Franck zeichnet eine ungewöhnliche Familiengeschichte, aber auch die erste große Liebe auf einfühlsame Weise. Trauer, Angst, Scham und Schmerz, doch Julia zerbricht nicht. Durch ihr exzessives Schreiben gelingt es ihr sich zu entfalten und zu behaupten.

Wie immer bei Julia Franck ist dieser literarische Text in einem klaren und ästhetischen Stil geschrieben. Ein absolutes Muss für alle, die die Autorin schon kennen und schätzen, aber auch sehr gut lesbar als Einstieg in ihr Werk.

zum Produkt € 23,00*

empfohlen von:

Elvira Hanemann

Elvira Hanemann

Die Anomalie Hervé Le Tellier

gebunden

Die Buchändlerin empfiehlt im September 2021

Hervé Le Tellier , Die Anomalie
Übersetzt von Romy und Jürgen Ritte
Rowohlt Verlag 22 €

Der 1957 in Paris geborene Schriftsteller erhielt für diesen Roman den Prix Goncourt 2020, den höchsten französischen Literaturpreis.

Zum Inhalt:

Ein Flugzeug gerät auf dem Flug Paris – New York in heftige Turbulenzen, die Passagiere stehen Todesängste aus. Doch alles geht gut aus. Sonderbar ist nur, dass zwei Monate später dieselbe Maschine nochmal landet. Mit denselben Passagieren. Sie werden an einen abgeschiedenen Ort gebracht und man versucht herauszufinden, was eigentlich passiert ist. Auch wenn die Gründe dieser Anomalie nicht aufgeklärt werden können, so steht doch fest: alle Menschen im Flugzeug gibt es nun doppelt! Zwei Monate älter bzw. jünger, mit unterschiedlichen Lebensentwicklungen.

Der ältere Mann und seine junge Geliebte, ein Auftragsmörder, ein Schriftsteller, ein afrikanischer Sänger, eine Schauspielerin – die unterschiedlichsten Menschen sehen sich nun gezwungen, sich mit ihrer eigenen Identität auseinander zu setzen. Wer ist das wirkliche „Ich“?


Le Tellier gelingt es hier einen hervorragenden Spannungsroman zu schreiben, wie auch mitreißende Einblicke in die unterschiedlichsten Leben und Charaktere zu geben. Die Anklänge an Science-Fiction-Literatur erhöhen meiner Meinung nach den Reiz dieses Gedankenspiels zusätzlich. Philosophische Fragestellungen, Komik und Thriller – kann diese eigenartige Mischung wirklich funktionieren?
„Die Anomalie“ beweist, dass das sehr wohl und ganz hervorragend geht!

Gehobene Unterhaltung oder Literatur? Die Einteilung in Schubladen ist nicht immer nötig, dieser Roman überzeugt gerade durch seine Genre sprengende Kraft.

Eines ist klar: langweilen wird sich beim Lesen garantiert niemand!

zum Produkt € 22,00*

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