Julia Franck

Die Mittagsfrau

Roman | Seit 28. September 2023 im Kino. Nachdruck.
kartoniert , 432 Seiten
ISBN 3596175526
EAN 9783596175529
Veröffentlicht April 2009
Verlag/Hersteller FISCHER Taschenbuch
Book2Look
14,00 inkl. MwSt.
Sofort lieferbar (Versand mit Deutscher Post/DHL)
Teilen
Inhalt

Jetzt reinlesen: Gratis-Leseprobe (pdf)
»Alles ist möglich, Engel, die Welt steht uns offen.«
In der Lausitz verlebt Helene eine idyllische Kindheit, die mit Ausbruch des ersten Weltkriegs jäh endet. Der Vater wird nach Osten geschickt und kehrt nur zum Sterben nach Hause zurück, die jüdische Mutter zieht sich zunehmend vor den Anfeindungen ihrer Umgebung in die Verwirrung zurück. Blind am Herzen nennt Helene das und fürchtet die zunehmende Kälte der Mutter, die ihre Töchter kaum mehr wahrzunehmen scheint.
Helene möchte Medizin studieren, ein ungewöhnlicher Traum für eine Frau zu Beginn des Jahrhunderts. Nach dem Tod des Vaters zieht sie Anfang der zwanziger Jahre mit ihrer Schwester Martha nach Berlin, und während Martha ihrer Freundin Leontine wieder begegnet, lernt Helene Carl kennen. Als der kurz vor der Verlobung stirbt, verliert sie den Sinn für das Dasein. Sie flieht in die Arbeit und will das Leben überleben.
Auf einem Fest stellt sich ein gewisser Wilhelm vor, er ist begeisterter Ingenieur, der Reichsautobahnen bauen und Helene heiraten möchte. Die schnell scheiternde Ehe mit ihm führt Helene nach Stettin, wo ihr Sohn zur Welt kommt. Die Liebe, die der kleine Junge fordert, die Nähe, die er sucht, werden ihr zunehmend unerträglich, und bald schon geht ihr der Gedanke vom Verschwinden nicht mehr aus dem Kopf. Schließlich trifft sie eine ungeheuerliche Entscheidung.
Zwei Weltkriege, Hoffnungen, Einsamkeit und Liebe - und die Erkenntnis, dass alles verloren gehen kann. Julia Franck erzählt ein Leben, das in die Mühlen einer furchtbaren Zeit gerät. Ein ungewöhnlicher Familienroman, ein eindringliches Zeitepos und die Geschichte einer faszinierenden Frau.

Portrait

Julia Franck wurde 1970 in Berlin geboren. Sie studierte Altamerikanistik, Philosophie und Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin. 1997 erschien ihr Debüt -Der neue Koch-, danach -Liebediener- (1999), -Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen- (2000) und -Lagerfeuer- (2003). Sie verbrachte das Jahr 2005 in der Villa Massimo in Rom. Für ihren Roman -Die Mittagsfraü erhielt Julia Franck den Deutschen Buchpreis 2007. Der Roman wurde in 40 Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt (2023, Regie: Barbara Albert). Nach -Rücken an Rücken- (2011) erschien zuletzt -Welten auseinander- (Platz 1 der SWR-Bestenliste). Für ihr Werk wurde sie 2022 mit dem Schiller-Gedächtnis-Preis ausgezeichnet.
Literaturpreise:
1995 Siegerin beim Open Mike-Wettbewerb
1998 Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste
1999 Stipendium der Stiftung Niedersachsen
2000 3sat-Preis in Klagenfurt
2004 Marie Luise Kaschnitz Preis
2005 "Roswitha Preis" der Stadt Bad Gandersheim
2007 Deutscher Buchpreis
2010 war die englische Ausgabe der -Mittagsfraü auf der Shortlist des Independent Foreign Fiction Prize und auf der Shortlist des -Jewish Quaterly- sowie für den internationalen IMPAC nominiert.
2022 Schiller-Gedächtnis-Preis

Pressestimmen

»So sinnlich, körperlich und klug wie in diesem Roman ist in der deutschen Literatur selten erzählt worden.«
Claudia Voigt, Spiegel online
Was bringt eine Mutter dazu, ihren Sohn allein auf einer Bank im Bahnhof zurückzulassen? So geschehen kurz nach Kriegsende 1945 in der Nähe von Stettin. Der achtjährige Peter wartet vergeblich darauf, dass seine Mutter Helene zurückkommt. Auch als es dunkel wird, bleibt er allein. Gut, dass in seinem kleinen Koffer ein Zettel liegt, auf dem der Name seines Onkels steht.
Mit dieser Szene beginnt der großartige Roman von Julia Franck "Die Mittagsfrau", der es geschafft hat, neben fünf weiteren Romanen für den Deutschen Buchpreis 2007, nominiert zu werden. Mit diesem Preis wird seit 2005 alljährlich auf der Buchmesse in Frankfurt der Roman des Jahres ausgezeichnet und die Chancen auf den Titel sind für Julia Franck überaus günstig.
Die Romangeschichte greift in die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, als die junge Helene in einer wohlhabenden bürgerlichen Familie zusammen mit ihrer älteren Schwester Martha in Bautzen aufwächst. Die Mutter der beiden war schon immer etwas seltsam in den Augen der Nachbarn. Sie geht nicht in die Kirche und knüpft wenig Kontakte. Am liebsten ist die Jüdin allein und in ihrer Traumwelt gefangen. Sie sammelt alte Töpfe, löchrige Tücher und gewöhnliche Obstkerne. Mit der Zeit driftet sie immer weiter in ihre eigene Welt ab, erschreckt die Schwestern mit ihren wütenden und lautstarken Zornesausbrüchen, so dass der Vater von Freunden den Rat erhält, die Mutter in eine Klinik zur Behandlung einweisen zu lassen. Als er nach sechs Jahren aus dem Krieg zurückkommt ist der Vater selbst schwer krank und muss gepflegt werden. Leider hat Helene nicht recht behalten, als sie meinte: "Wer ihre Mutter liebte, dem konnte kein Krieg etwas anhaben."
Das eigenwillige Porträt der Mutter, die so gar nicht in eine Schablone passen will, gelingt Julia Franck besonders gut. Den Ablöseprozess der Töchter vom Elternhaus schildert sie als nicht einfach, doch die beiden jungen Frauen brechen nach Berlin auf. Ohne dass zu sehr auf den geschichtlichen Hintergrund eingegangen wird, ist die schwüle Atmosphäre der Großstadt spürbar. Martha kommt schon bald ohne Rauschgift nicht mehr zurecht und Helene hat große Mühe, sich in der Welt der Bars, Musik und langen Nächte zu orientieren. Erst als sie ihrer großen Liebe Carl, einem jüdischen Studenten, begegnet und dazu Arbeit in einer Apotheke findet, ordnet sich ihr Leben kurzzeitig. Bis Carl tödlich verunglückt. Für Helene ist der Verlust des Seelenverwandten, mit dem sie nächtelange Gespräche führte, kaum erträglich. Jahre später heiratet sie den Ingenieur Wilhelm, einen linientreuen Nationalsozialisten, der mit dem Bau der Reichsautobahn beschäftigt ist. Wilhelm, der Praktiker, der so gar nichts Feingeistiges hat, ist der Vater ihres Sohnes, doch die Ehe ist nicht glücklich und sie trennen sich bald.
Aus vielen aufmerksamen Beobachtungen und Szenen webt Julia Franck einen weitausholenden Familienroman, der zwei Weltkriege umspannt, ohne dass die Politik im Vordergrund steht. Kleine Bemerkungen am Rande binden die große Geschichte ein. Faszinierend ist die Entwicklung von Helene. Aus einem intelligenten Mädchen formt die Zeit eine Frau, die oberflächlich betrachtet, als herzlose Egoistin abgestempelt werden kann. Doch der geschärfte Blick zeigt eine vollkommen andere Wahrheit. Und die lohnt sich zu lesen.
© Manuela Haselberger