Ödön Von Horváth

Jugend ohne Gott

Paperback.
kartoniert , 106 Seiten
EAN 9791041906048
Veröffentlicht Februar 2023
Verlag/Hersteller Culturea
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Beschreibung

Auf meinem Tische stehen Blumen. Lieblich. Ein Geschenk meiner braven Hausfrau, denn heute ist mein Geburtstag. Aber ich brauche den Tisch und rücke die Blumen beiseite und auch den Brief meiner alten Eltern. Meine Mutter schrieb: »Zu Deinem vierunddreißigsten Geburtstage wünsche ich Dir, mein liebes Kind, das Allerbeste. Gott, der Allmächtige, gebe Dir Gesundheit, Glück und Zufriedenheit!« Und mein Vater schrieb: »Zu Deinem vierunddreißigsten Geburtstage, mein lieber Sohn, wünsche ich Dir alles Gute. Gott, der Allmächtige, gebe Dir Glück, Zufriedenheit und Gesundheit!« Glück kann man immer brauchen, denke ich mir, und gesund bist du auch, gottlob! Ich klopfe auf Holz. Aber zufrieden? Nein, zufrieden bin ich eigentlich nicht. Doch das ist ja schließlich niemand. Ich setze mich an den Tisch, entkorke eine rote Tinte, mach mir dabei die Finger tintig und ärgere mich darüber. Man sollt endlich mal eine Tinte erfinden, mit der man sich unmöglich tintig machen kann! Nein, zufrieden bin ich wahrlich nicht. Denk nicht so dumm, herrsch ich mich an. Du hast doch eine sichere Stellung mit Pensionsberechtigung, und das ist in der heutigen Zeit, wo niemand weiß, ob sich morgen die Erde noch drehen wird, allerhand! Wie viele würden sich sämtliche Finger ablecken, wenn sie an deiner Stelle wären?! Wie gering ist doch der Prozentsatz der Lehramtskandidaten, die wirklich Lehrer werden können! Danke Gott, daß du zum Lehrkörper eines Städtischen Gymnasiums gehörst und daß du also ohne große wirtschaftliche Sorgen alt und blöd werden darfst! Du kannst doch auch hundert Jahre alt werden, vielleicht wirst du sogar mal der älteste Einwohner des Vaterlandes! Dann kommst du an deinem Geburtstag in die Illustrierte, und darunter wird stehen: »Er ist noch bei regem Geiste.« Und das alles mit Pension! Bedenk und versündig dich nicht!

Portrait

Ödön von Horváth, geboren am 9. Dezember 1901 in Fiume, Rijeka als Edmund Josef von Horváth und gestorben am 1. Juni 1938 in Paris, war ein österreichisch-ungarisch Schriftsteller. Er entstammt einer Militärarztfamilie und verbrachte seine Jugend teilweise in Belgrad und Budapest. Nach seinem Abitur in Wien besuchte er psychologische, literatur-, theater- und kunstwissenschaftliche Seminare an der Universität München und begann zu schreiben. Bekannt wurde er durch zeitkritische Prosa wie Der ewige Spießer, Jugend ohne Gott oder Ein Kind unserer Zeit sowie zahlreiche Theaterstücke (z.B. Geschichten aus dem Wiener Wald, Glaube Liebe Hoffnung).