Jacinta Nandis neues Buch „Single Mom Supper Club“ ist ein Tabubruch. Es schockiert, belustigt und provoziert. Acht alleinerziehenden Mütter treffen sich regelmäßig in ihrem „Supper Club“, einer Art Kochgemeinschaft, um sich auszutauschen. Was dort besprochen wird nimmt nicht selten extreme Züge an. Offen, schonungslos und oftmals herrlich kontrovers reden die Frauen über alles was sie beschäftigt – von Kindererziehung und politischen Debatten, über Erbschleicherei bis hin zu illegaler Wohnungsuntervermietung oder dem Fälschen von Wertpapieren.
Diese Frauen entsprechen nicht dem gesellschaftlichen Idealbild von Müttern. Sie sind nicht sanftmütig, geduldig, oder vorbildlich – sondern überfordert, verzweifelt und zum Teil sehr jung. Das macht sie nicht sympathisch, aber ehrlich.
Was dieses Buch besonders mutig macht, ist die Art und Weise, wie es Mutterschaft entzaubert. Die Gedanken, die hier offen ausgesprochen werden, sind solche, für die sich viele Frauen vermutlich ein Leben lang schämen würden: der Wunsch, ein Kind vielleicht doch nicht bekommen zu haben, das Eingeständnis eines Lieblingskindes, das Gefühl, Angst vor dem eigenen Nachwuchs zu haben. Dinge, über die man nicht spricht – hier werden sie brutal offen gelegt.
Trotz aller Dramatik kommt auch der Humor nicht zu kurz. Mit viel Sarkasmus und provokantem Witz erinnert das Buch streckenweise an eine bissige Reality-TV-Show – absurd, unterhaltsam und erschreckend ehrlich zugleich. Die Gespräche der Frauen schwanken zwischen moralischem Abgrund und solidarischer Wärme, zwischen Zynismus und echter Nähe.
„Single Mom Supper Club“ ist kein Wohlfühlbuch. Es fordert heraus, stößt manchmal ab, bringt zum Lachen und regt zum Nachdenken an. Und genau das macht es so lesenswert.
zum Produkt € 24,00*
Eine genaue Entsprechung für das ë in der deutschen Sprache gibt es nicht. Vergleichbar wäre es mit dem e-Schwa(laut) am Ende eines Wortes, wie bei ‘bereit’ oder ‘Karte’. Im Albanischen kommt dieser Buchstabe - dieser Laut - sehr häufig vor, wird meist jedoch nicht ausgesprochen, sondern verändert vielmehr etwas in der Betonung eines Wortes. Auch das teilt uns die unter Bruxismus leidende Erzählerin mit, die so stark mit den Zähnen knirscht, dass ihre Knirschschiene regelmäßig zerbricht. Etwas hat sich in ihr festgesetzt, was nicht heraus kann und sie nun in der Nacht mit ihren Zähnen zermalmt.
Das große Thema des Romans ist die Verbindung der aus dem Kosovo stammenden und von dort in den 90ern geflohenen Erzählerin. Der Kosovo-Krieg ist, wie das ë, etwas, das wenig wahrgenommen wird und Ersteres etwas, das in Deutschland kaum im gesellschaftlichen Gedächtnis vorhanden ist. Die Erzählerin studiert Sprachwissenschaft und nimmt an ihrer Uni an einer wenig besuchten Vorlesung einer forensischen Anthropologin teil, die anhand von Knochen aus dem Kosovo entschlüsselt, wie die Menschen gestorben sind. Der Hintergrund dieser Forschung sind die im Zuge des Kosovo-Kriegs begangenen Kriegsverbrechen durch Serbien - wobei zuerst die albanische Sprache und die Kosovo-Albaner unterdrückt und bis Juni 1999 rund 10.000 Kosovo-Albaner*innen gewaltsam getötet und über eine Millionen vertrieben wurden oder flohen (siehe bpb.de).
Die Protagonistin wird im Verlauf des Romans und im Austausch mit einer serbischen Kommilitonin immer wieder auf ihr generationales Trauma und ihre Familiengeschichte zurückgeworfen. In diesem schmalen Band versammelt sich so viel Emotion, in den von Kicaj so poetisch entworfenen und dabei so schmerzhaften Bildern, während gleichzeitig ihre Sprache so geschmeidig anmutet.
Ganz große Empfehlung!
zum Produkt € 22,00*
Mir hat das Buch gefallen. Weil: Es war total spannend. Und auch ein bisschen traurig. Es ging im Buch darum: Dass ein Mädchen namens Ada ihre Oma fast immer besucht. Die Oma wird immer vergesslicher. Für Ada ist das ziemlich blöd. Aber dann will die Oma nach Italien. Weil das ihre Heimat ist. Sagt sie. Und weil sie da noch ein Geheimnis aufdecken will, bevor sie alles vergisst. Und dann beginnt das ABENTEUER.
zum Produkt € 15,00*
Eine Eilmeldung erreicht das Kanzleramt. Es wurden freilaufende Elefanten überall in Berlin und Umland gesichtet. In Gaea Schoeters neustem Roman „Das Geschenk“ wird aus einer Drohung literarischer Ernst. Unterbrochener Verkehr, geplünderte Supermärkte und Bauern auf den Barrikaden. Was nach außen wie eine chaotische Komödie wirkt, wird schonungslos zu einem Spiegelbild der deutschen Politik.
Eine Debatte über ein europäisches Importverbot von Jagdtrophäen stößt einigen afrikanischen Staaten sauer auf. Die Reaktion, ein raffiniertes Kalkül des botswanischen Präsidenten getarnt als Geschenk im Umfang von 20.000 Elefanten, welches das Land ins Chaos stürzt. Durch eine gut durchdachte Verkettung unterschiedlicher Ereignisse und die sich daraus ergebenden Probleme, legt die Autorin damit ihren Finger in so manche politische Wunde. Mit feiner Beobachtungsgabe zieht sie raffiniert und herrlich satirisch Parallelen zu vergangenen Krisen und kreiert dadurch ein überzeugendes „Was wäre wenn“- Szenario. Sprachlich überzeugt der Roman mit authentischen Dialogen und politischem Sprech. Trotz der kurzen Form von 140 Seiten sollte man die Wirkung dieser ausdrucksstarken Kritik nicht unterschätzen.
Es ist ein Buch, dass mich schwer beeindruckt hat, weshalb ich es bedingungslos empfehlen kann.
zum Produkt € 22,00*
Aus der Reihe der rororo Entdeckungen - mitherausgegeben von Nicole Seifert, der Autorin von Frauenliteratur und „Einige Herren sagten etwas dazu“ Die Autorinnen der Gruppe 47 - stammt dieser Angestelltenroman aus der Weimarer Republik. Thea Iken ist eine Prokuristin und die einzige Frau mit höherer Stellung in einem Berliner Bankinstitut. Es werden Hürden und Benachteiligungen von angestellten Frauen geschildert und mir gefällt besonders die kecke Sprache und die vielen klugen und poetischen eingetreuten Nebensätze. Brücks Romane wurden in der NS-Zeit als "Asphaltliteratur" eingestuft und verbrannt.
Jedoch wandelte sich mit den Jahren die Einstellung Brücks, sodass sie sich der Naziideologie anglich und zwei Romane mit deutlich völkischer Prägung schrieb, den obigen von den Nazis abgewandelt verfilmen ließ, später heiratete und als Schriftstellerin noch vor ihrem Tod vergessen wurde.
Nach Magda Birkmann, die das Nachwort zum Roman verfasste, ist eine literarische Rehabilitierung somit natürlich erschwert und die Wiederentdeckung ambivalent.
zum Produkt € 15,00*
Peter Wawerzinek ist ein „Erpete“, ein Rompreisträger, ein Glückspilz also, doch schon seine Ankunft in der Villa Massimo gestaltet sich anders als erwartet, vor dem Tor ereilt ihn ein Schwächeanfall, er kann nicht mehr aufstehen. Er nistet sich ein in der Villa und leidet unter einer Schreibblockade, erläuft sich stattdessen die Ewige Stadt zu Fuß. Nach Monaten hat Corona Italien im Griff und in der Isolation fließt die Sprache wieder auf das Papier, doch löscht der Autor das Manuskript versehentlich. Die Villa-Massimo-Zeit ist damit ergebnislos vorüber und er zieht weiter nach Trastevere, bleibt in Rom, schreibt, flaniert. Nach und nach verdichten sich die negativen Vorzeichen und schließlich steht fest: Der Schriftsteller ist ernsthaft krank.
Der autofiktionale Briefroman „Rom sehen und nicht sterben“ richtet sich an eine alte Freundin. Wie immer bei Wawerzinek spielt das Vogel-Motiv eine große Rolle, hier sind es gleich zu Anfang die Stare, die in Schwärmen geheime Zeichen auf den Himmel Roms skizzieren. Das kleine Zimmerchen, was er in Berlin während der Chemotherapie bewohnt, malt er komplett als Dschungel mit verschiedensten Vogelarten aus.
Der Text des Sprach-Jongleurs handelt von Vertrauen, von der ureigenen Intuition, zu wissen, wie er die Zeit der Krankheit und Behandlung durchstehen kann. Die Beziehung zu seinem Hausarzt, den er „Min Skipper“ nennt, ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich und hat mich, wie vieles andere in diesem Buch, tief berührt. Wawerzinek erschafft sich die Welt durch Worte neu - der Rausch, die Wucht, die schöpferische Eigenart, Wahrhaftigkeit und Intimität seiner Sprache nehmen einen mit. Tod, Leben und neue Liebe gehen ineinander über.
zum Produkt € 24,00*
„Nicht Anfang und nicht Ende“ erzählt von den Lebensumständen und der Armut der Bauern im Maggiatal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gerade erwachsen geworden, sucht Gori mit seinem Bruder Antonio in Amerika sein Glück. Obwohl er dafür seine große Liebe Maddalena und seine Familie in Cavergno verlassen muss und von der ersten Stunde an innerlich zweifelt, lässt sich sein Vorhaben nicht mehr stoppen und überrollt ihn förmlich. Von tiefem Heimweh gequält, kehrt er nach beinahe zwei Jahrzehnten in sein tessinisches Dorf zurück und findet alles ganz und gar verändert vor. In Gesprächen mit dem Richter Venanzio reflektiert er voller Melancholie seine Erlebnisse und Verluste.
Selten habe ich eine so bewegende Schilderung einer Herkunft und eines Lebensweges gelesen, vergleichbar vielleicht nur mit „Padre Padrone“ von Gavino Ledda. Plinio Martini setzt den Bauern im Maggiatal mit seinem Roman ein beeindruckendes literarisches Denkmal. Katholizismus, bäuerliche Traditionen, eine unfassbar schöne aber unerbittliche Natur, harte Arbeit und ausweglose und gleichzeitig identitätsstiftende Rollenbilder, alle diese Aspekte weiß Martini stilistisch brillant wie unverwechselbar zu schildern und auszutarieren.
Die im Limmatverlag 2023 erschienene Neuauflage der Übersetzung von Trude Fein ist Pflichtlektüre nicht nur für alle, die das Valllemaggia bereisen. Wer dieses Buch aufschlägt, wird bis zum letzten Buchstaben gebannt an Goris Seite bleiben.
zum Produkt € 28,00*
Wie zuvor mit dem Buch "Das Patriarchat der Dinge" hat Endler erneut ein kluges, unterhaltsames und verblüffendes Sachbuch über das Patriarchat geschrieben, das anekdotenhaft und dabei gut belegt an spezifischen Beispielen Phänomene aus einer feministischen Perspektive betrachtet, die sich miteinander verweben. Auch wer schon viele feministische Sachbücher aufgesogen hat, wird sich hier nicht langweilen, da Endler in ihrer Themenauswahl sehr in die Tiefe geht und viele aktuelle wie auch historische Themen streift.
Ein paar beispielhafte Einblicke:
Unter anderem stellt sie die Frage, inwiefern die Figur der Hexe sich in jeglicher Hinsicht für eine feministische Umdeutung und der damit verbundenen Popularisierung eignet. Denn einerseits gehört die Hexe auch ein Stück weit den Frauen und weiblich gelesenen Personen, die sich durch diese popkulturelle Umdeutung diese Fremdbezeichnung zurückholen, andererseits gab es nie Hexen und auch heute noch werden Menschen der Hexerei angeklagt und verurteilt.
Ein weiterer Abschnitt, der beispielhaft für die vielen interessanten Gebiete stehen kann, die hier aufgemacht werden, beleuchtet das Werk der Architektin und Designerin Marlene Moeschke-Poelzig, welches unsichtbar gemacht und zerstört wurde. So geschah es mit ihrer 2021 unter Protest abgerissenen Familienvilla in Berlin Westend, welches das einzige gebaute Haus Moeschke-Poelzigs war und von einem Architekturhistoriker als „Einmaliges Denkmal der Emanzipationsgeschichte in der Architektur“ (Vgl. ebd. S. 105) bezeichnet wurde. Ein ähnliches Schicksal erlitt auch das Haus E.1027 der Architektin Eileen Gray, deren Ex-Partner es später als sein Werk ausgab und auch der so oft gefeierte Le Corbusier, der wusste, wer das Haus und die innere Ausgestaltung geschaffen hatte, dessen Wände mit Frauenkörpern in grellen Farben bemalte (oder eher verunstaltete), wobei er selbst nackt war und in der Folge wiederum Le Corbusier oft für den Erbauer gehalten wurde.
Weitere spannende und wütend machende, aber auch sehr lehrreiche Exkurse erwarten euch auch zu den Themen Trad Wifes, Mythologie, der Boxerin Chyna oder der patriarchal geprägten Rolle der 'fille fatale' im Film: junge Frauen, die aus männlicher Sicht sexualisiert werden, ältere Männer 'verführen' und schlussendlich das Leben des angesehenen Mannes 'zerstören'.
Skurril und erhellend!
zum Produkt € 25,00*
Keru & Nate, ein junges Ehepaar aus Manhattan, sie Unternehmensberaterin, er Junior-Professor für Biologie, planen das erste Mal einen gemeinsamen Urlaub, zusammen mit ihrem Hirtenhund Mantou. Ihr Ziel ist Cape Cod, wo sie für einen Monat ein New-England-Cottage gemietet haben. Die erste Woche verbringen sie dort mit Serien bingen, Gin trinken und Sex, die beiden folgenden Wochen haben sie jeweils ihre Eltern eingeladen. Eine mindestens skurrile bis mutige Idee…
Einer der Glaubenssätze von Kerus chinesischstämmigen Eltern lautet „Wer eine Spülmaschine benutzt, hat vor dem Leben kapituliert.“ Sie bringen riesige Mengen an selbstgemachtem Essen in Kühltaschen mit, Ausflüge kommen nicht infrage. Nate folgt dem auf Chinesisch geführten Gespräch der Eltern mit Keru, dass sich um Ansprüche dreht, die sie an ihre Tochter stellen: Beruflicher Aufstieg, Eigenheim, Kinder. Die hardcore pragmatische, leistungsorientierte und komplett zurückgezogene Lebensweise von Kerus Eltern kontrastiert mit dem Lebensstil von Nates Familie. Als nun das zweite Elternpaar eintrifft, wird Lagerfeuer gemacht, über Mode gesprochen und die Top Five Leuchttürme an der Küste abgeklappert. Zu Nates Hintergrund gehört auch sein straffällig gewordener Bruder. Der zweite Teil des Buches schildert einen weiteren Urlaub, diesmal ohne Eltern, aber doch ähnlich anstrengend. So stellt sich beim Lesen die Frage, ob es sich eigentlich lohnt, sich für Ferienreisen aus dem eigenen strukturierten Alltag und der vertrauten Comfort Zone herauszubewegen...
„Die Ferien“ von Weike Wang, aus dem Amerikanischen übersetzt von Andrea O´Brien , ist eine Tiefenbohrung über soziales Unbehagen; der Roman sensibilisiert für komplexe kulturelle Differenzen und Konditionierungen und für die verständliche, sehr menschliche Sehnsucht, die individuellen Grundbedürfnisse ohne Anpassungsdruck leben zu können. Ich habe ziemlich viel gelernt. Und mich extrem gut amüsiert.
zum Produkt € 24,00*
Dieses Buch ist ein kleiner, moderner literarischer Schatz. Julia Engelmann ist bereits eine bekannte Stimme der Lyrik und veröffentlicht schon seit Jahren Gedichtbände und ist erfolgreiche Poetry Slammerin und Sängerin. Nun wagt sie sich an ihren ersten Roman und dieser Schuh passt so gut wie der von Cinderella. „Himmel ohne Ende“ erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens namens Charlie, die sich nach dem Verlassenwerden durch ihren Vater in sich zurückzieht. Sie gibt sich selbst die Schuld an seinem Verschwinden - das Gefühl nicht zu genügen zieht sich seit jeher durch alle Facetten ihres Lebens. Als sich nun auch noch Ihre beste Freundin von ihr abwendet und ihre Mutter einen italienischen Freund mit nach Hause bringt, der ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht, zerfällt auch der letzte Rest Charlies fragilen Friedens. Nur der neue Schüler, der wegen seines Aussehens von allen nur Pommes genannt wird, hält sie mit seiner sonnigen und beharrlichen Art davon ab, sich gänzlich dem dunklen Abgrund zu ergeben. Er ist der Einzige, der durch ihre ablehnenden Fassade die echte Charlie erkennen kann.
Die Geschichte ist nicht nur herzzerreißend schön, herzlich und witzig, sondern auch nachdenklich und tiefgründig. Vor allem zeigt sie aber deutlich, dass Depression kein Alter kennt und wie wichtig Freundschaft in diesen dunklen Zeiten sein kann. Neben der eher ruhigeren Handlung sticht die zarte poetische Sprache heraus, die mitten ins Herz trifft. Julia Engelmamn ist eine dieser Autorinnen, die das in Worte fassen können, was andere erleben, aber nicht benennen können. Ihre Leidenschaft für Lyrik ist in jedem ihrer wohl gewählten Worte zu spüren und erschafft eine wunderschöne Symbiose aus Prosa und Poesie. Ich für meinen Teil hoffe in Zukunft weitere Romane der Autorin lesen zu dürfen. Ihr Debüt startet schon mal phänomenal und gehört bereits zu meinen absoluten Lieblingsbüchern!
zum Produkt € 25,00*