
Der mit insgesamt 60.000 Euro dotierte Preis der Leipziger Buchmesse wird seit 2005 vergeben und ehrt herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen und Übersetzungen in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung.
Die siebenköpfige Jury setzt sich aus deutschen Journalisten und Literaturkritikern zusammen.
Quelle: Preis der Leipziger Buchmesse
Entdecken Sie hier die Nominierten diesen Jahres in den drei Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung.
Belletristik
Christian Kracht, Eurotrash
gebunden»I'll see you in twenty-five years.« Laura Palmer. >Faserland< genannt hatte. Es endet in Zürich, sozusagen auf dem Zürichsee, relativ traumatisch.« Christian Krachts lange erwarteter neuer Roman beginnt mit einer Erinnerung: vor 25 Jahren irrte in »Faserland« ein namenloser Ich-Erzähler (war es Christian Kracht?) durch ein von allen Geistern verlassenes Deutschland, von Sylt bis über die Schweizer Grenze nach Zürich. In »Eurotrash« geht derselbe Erzähler erneut auf eine Reise - diesmal nicht nur ins Innere des eigenen Ichs, sondern in die Abgründe der eigenen Familie, deren Geschichte sich auf tragische, komische und bisweilen spektakuläre Weise immer wieder mit der Geschichte dieses Landes kreuzt. »Eurotrash« ist ein berührendes Meisterwerk von existentieller Wucht und sarkastischem Humor.
Sachbuch
Michael Hagner: Foucaults Pendel und wir. Anlässlich der Installation "Zwei graue Doppelspiegel für ein Pendel von Gerhard Richter"
gebundenWissenschaftliche Erkenntnisse können eine Weltsensation darstellen, ohne gleich ein neues Weltbild zu installieren. Als der Pariser Physiker Léon Foucault 1851 die Erdrotation mit einem Pendel nachweisen konnte, musste niemand mehr von der Richtigkeit des Heliozentrismus überzeugt werden. Dennoch gilt das Experiment bis heute als eines der berühmtesten in der Geschichte der Wissenschaften. Hat also Foucaults Pendel immer noch mit uns zu tun? In seinem neuen, mit vielen bislang unbekannten Bildern versehenen Buch geht Michael Hagner dieser brisanten Frage nach und zeigt, wie eng der Pendelversuch mit technischen Präzisionsbasteleien, ideologischen Konflikten, dem Aufstieg der Populärkultur sowie der Verbreitung von Bildmedien verbunden ist. Dabei behandelt Hagner kosmologische Fragen ebenso wie politische und ästhetische Vorstellungen über die öffentliche Inszenierung von Wissenschaft. Der Glaube an den zivilisatorischen Fortschritt durch die Wissenschaften prägte die öffentliche Geschichte des Pendels, bis Umberto Eco es in einem postmodernen Welttheater wiederverzauberte. Damit wurde die Bühne frei für die Vermutung, bei Foucaults Pendel könnte es sich auch um ein Kunstwerk handeln. In einer überraschenden Wende deutet Hagner die Installation Zwei graue Doppelspiegel für ein Pendel, die Gerhard Richter 2018 in der Dominikanerkirche in Münster eingerichtet hat, als Vorschlag, künstlerische und wissenschaftliche Reflektion auf paradoxe Weise miteinander in Korrespondenz treten zu lassen.
Ann Cottoen für "Pippins Tochters Taschentuch"
Rosmarie Waldrop, Pippins Tochters Taschentuch
gebundenHätten Josef und Frederika Seifert mal besser nicht geheiratet!? Der Ort ist Kitzingen am Main, es sind die späten Zwanziger. Josef ist Kriegsveteran und Lehrer, sehr ins Metaphysische entrückt, Frederika rasend frustrierte Sängerin, rasend frustrierte femme fatale, die, unfähig zu den spirituellen Sublimationen ihres Mannes, bereits wenige Wochen nach der Trauung eine Affäre mit seinem besten Freund beginnt. Ist dieser Seitensprung an allem schuld, was folgen wird? Das fragt - ein halbes Jahrhundert später - Lucy, die älteste Tochter, in Briefen an ihre Schwester (oder ist es ihre Halbschwester?). Hätte ihre Mutter nur ein Machtwort sprechen müssen, was die Musik Richard Wagners angeht, damit sich alles ganz anders entwickelt? Und hat der Umstand, dass Frederikas Liebhaber Jude war, Josefs Faszination für den Nationalsozialismus weiter entfacht? Rosmarie Waldrop hat einen agilen, feinsinnigen und derben Roman geschrieben. Über eine marode Familie im anschwellenden Nationalsozialismus. Über Sehnsüchte, Enttäuschungen und Verrat. Über kleine Ursachen und große Wirkungen. Und über die beharrliche Ambivalenz einer nicht wirklich zu bewältigenden Vergangenheit.
Sonja Finck und Frank Heibert für "Der große Absturz"
Louis-Karl Picard-Sioui, Der große Absturz
gebundenPierre Wabush ist verkatert. Nicht bloß vom Suff, den Pillen, der heißen Nacht, an die er sich nur vage erinnert. Ihn macht das Reservat fertig, sein Zuhause: »Kitchike hat es drauf, alles Schöne und Gute kaputt zu machen.« Keine Perspektive - was ebenso am Rassismus der Weißen liegt wie an der Korruption der eigenen Führungsriege. Das muss anders werden, und er muss den Hintern hochkriegen. Dabei erscheint Kitchike zunächst wie eine ganz normale Kleinstadt. Jeder kennt jeden, man tratscht, man wurschtelt sich durch, man lebt. Wenn Lydia, die die örtliche Tankstelle schmeißt, sonntags nach dem Kirchgang das halbe Kaff beobachtet und spitzzüngig kommentiert, könnten wir überall auf der Welt sein. Sind wir aber nicht. In Kitchike kann es passieren, dass die Göttin aus einer indigenen Legende einem Konzert lauscht und nachher mit dem Sänger flirtet ... Während der Reservatschef Polizei und Mafia gegen sich hat, so dass er nun vor dem »großen Absturz« steht. Panisch sucht er nach Verbündeten, doch ganz Kitchike hat die Schnauze voll. Louis-Karl Picard-Sioui katapultiert uns mitten in die Lebenswirklichkeit eines heutigen Reservats in Québec. Ein Dutzend Stimmen fügen sich zu einem Panorama, einem Chor der Aufbegehrenden voller lebendiger Töne, mal poetisch, mal derb, immer direkt. Picard-Sioui steht für eine indigene Generation, die die Opferstarre abschüttelt und politische Wut in Kraft zum Handeln ummünzt.
Hinrich Schmidt-Henkel für "Die Vögel"
Tarjei Vesaas, Die Vögel
gebundenTarjei Vesaas (1897-1901) ist mit zwei meisterhaften Romanen unsterblich geworden: »Das Eis-Schloss« und »Die Vögel«. In »Die Vögel« erzählt er von dem Außenseiter Mattis, der sich in eine kindliche innere Welt zurückgezogen hat und von den anderen Dorfbewohnern als zurückgeblieben verlacht wird. Seinen Lebensunterhalt versucht er mit kleinen Hilfsarbeiten auf dem Feld und im Wald zu bestreiten. Mattis lebt in einer Hütte am See mit seiner Schwester Hege, die den Haushalt führt und ihn versorgt, und er fühlt sich mit der Natur ringsum verbunden. Besonders ziehen ihn die Waldschnepfen an, deren frühlingshaften Balzflug er als Zeichen sieht, als Verheißung, die er nicht entschlüsseln kann. Als eines Tages der Holzfäller Jørgen auftaucht, sich in Hege verliebt und dann auch noch eine Schnepfe erschießt, wird Mattis aus der Bahn geworfen. In sparsamer, eindringlicher Sprache und in unvergesslichen Bildern beschreibt Tarjei Vesaas das Innenleben des Sonderlings Mattis und seinen Blick auf die Welt, und dabei auch sein Unvermögen, sich auszudrücken, sich mit anderen Menschen zu verständigen. Das Ungesagte zwischen den Zeilen, das im Grunde Unsagbare fügt Vesaas in einzigartiger, unverwechselbarer Weise ins feine Netz der Erzählung und erzeugt damit poetische Spannung und ein unbedingtes Mitgefühl für Mattis. Hinrich Schmidt-Henkel versteht es auf fast magische Weise, die Zwischentöne, Auslassungen und die Verknappung in der deutschen Übersetzung nachzubilden und uns die Geschichte mit ihrer ganz eigenen Melodie so nahezubringen, dass uns gar nichts übrig bleibt, als den Roman und seine Hauptfigur Mattis tief ins Herz zu schließen.
Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl für "USA-Trilogie"
John Dos Passos, USA-Trilogie
gebundenJohn Dos Passos' "USA-Trilogie" ist in der amerikanischen Literatur einzigartig wegen ihrer epischen Gestaltung und panoramischen gesellschaftlichen Perspektive. In den Romanen, aus denen sie besteht - "Der 42. Breitengrad" (1930), "1919" (1932) und "Das große Geld" (1936) -, zeichnet Dos Passos mit sarkastischem Humor und scharfem Auge für soziale Fragen ein unvergessliches Kollektivporträt der USA. Dabei verbindet er das Leben seiner Charaktere und die Zeit, in der sie leben, auf eine raffinierte erzählerische Weise, die diese Trilogie zu einem der lesbarsten modernen Klassiker überhaupt gemacht hat. Seine Protagonisten erleben Kriege und Revolutionen, verzweifelte Liebesaffären, schwere Familienkrisen, öffentliche Triumphe und private Katastrophen vor Kulissen, die unter anderem die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, das aufständische Mexiko, Hollywoodstudios in der Stummfilmära, Wall-Street-Büros und die von Tumulten erschütterten Straßen von Boston vor der Exekution von Sacco und Vanzetti umfassen. In seinem Vorwort schreibt Dos Passos: "USA, das ist ein Querschnitt durch einen Kontinent ... Vor allem aber ist es das gesprochene Wort der Menschen." Es ist die gewaltige Stimme Amerikas von der Industrialisierung bis zur Prohibition. Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl verschaffen ihr mit ihrer zeitgemäßen Übersetzung neues Gehör.
Timea Tankó für "Apropos Casanova"
Miklós Szentkuthy, Apropos Casanova
gebundenAusgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse für die Übersetzung von Timea Tankó Er ist der Solitär der ungarischen Literatur. 60 Jahre arbeitete Miklós Szentkuthy an seinem enormen, uferlosen Werk - auf Deutsch lagen bisher nur wenige Seiten vor. Zu entdecken ist ein literarischer Kosmopolit, ein ungarischer Borges, ein zu jeder Zeit Unzeitgemäßer. »Hier ist ein wirklich amusabler, ein sehr wacher, sensitiver, empfänglicher Geist, der im höchsten Sinne Spaß versteht.« - Thomas Mann, 1949 Moderner Mystiker und virtuoser Gedankenjongleur: Mit Apropos Casanova führt Miklós Szentkuthy (1908 -1988) gewitzt ein in seine Gedankenwelt. In der Lektüre der Memoiren Casanovas treibt er sein höchst subjektives Spiel mit der Sprache und der Geschichte. Ob als barocker Liebesabenteurer oder als Pseudo-Abaelard, zerrissen zwischen Scholastik und Héloise - bei seinem Ritt durch die Epochen spricht Szentkuthy mit vielen Stimmen. Sein munterer Assoziationskarneval fügt sich zu einem Stundenbuch über die Liebe und das menschliche Begehren. Bei Erscheinen 1939 durch die Zensur verboten, hat sich das Provokante seiner Prosa bewahrt. Eine ganze Generation ungarischer (Exil-)Literaten kennt Szentkuthys fliegende Metaphern. Endlich können wir den Budapester Solitär auf Deutsch lesen: in einer bestechenden Übersetzung von Timea Tankó. »Szentkuthys Erzählweise, seine Weltsicht, sein Satzbau und Stil lassen sich selbst heute kaum in einen Kanon einordnen.« - György Dalos in seinem Nachwort.