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Fortschritt ist sozialer Wandel hin zu einer Situation, in der die Verhältnisse nicht nur anders, sondern besser werden - etwa dadurch, dass die Sklaverei abgeschafft wird oder die Vergewaltigung in der Ehe als Verbrechen gilt. Viele würden dem zustimmen, und doch hat die Vorstellung eines generellen gesellschaftlichen Fortschritts ihren Glanz verloren. Sie ruft sogar Skepsis hervor. Hingegen wächst die Neigung, etwa die Zunahme autoritärer Ressentiments und rechtspopulistischer Bewegungen als eine Art von Regression zu bewerten. Rahel Jaeggi verteidigt in ihrem Buch das Begriffspaar Fortschritt und Regression als unverzichtbares sozialphilosophisches Werkzeug für die Diagnose und Kritik unserer Zeit. Als fortschrittlich oder regressiv versteht sie nicht nur das Resultat, sondern vor allem die Gestalt der gesellschaftlichen Transformationsprozesse selbst. Indem sie nach den Dynamiken sozialen Wandels fragt sowie nach den Erfahrungsblockaden, die regressiven Tendenzen Vorschub leisten, entwickelt sie einen Begriff des Fortschritts, der materialistisch und plural, also durch und durch emanzipativ und zeitgemäß ist.
Rahel Jaeggi, geboren 1966, ist Professorin für Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und leitet dort seit 2018 das Centre for Social Critique.
Vorwort
Einleitung
1 Fortschritt(e)
1.1 Was ist moralischer Fortschritt?
Fortschritt als Wandel zum Besseren?
Fortschritt als evaluativer Begriff
Nichtderivativer Charakter des Fortschritts
1.2 Der Vorrang des Fortschritts vor dem Guten
Fortschritt ohne Ziel
Der Vorrang des Fortschritts
1.3 Fortschritt als Lern- und Erfahrungsprozess
Lernen
Die Form des Wandels
Genesis und Geltung
2 Reform oder Revolution: Kontinuität und Diskontinuität des Fortschritts
2.1 Die Erweiterung des Einzugsbereichs
Plausibilität der Erweiterungsthese
Grenzen der Erweiterungsthese
2.2 Die Vertiefung von Idealen
Grenzen des Vertiefungsmodells
2.3 Kontinuität in der Diskontinuität, Diskontinuität in der Kontinuität
Krise als Vermittlung zwischen Alt und Neu
3 Im Kontext: Moralischer Fortschritt und sozialer Wandel
3.1 Eine bloße Geschmacksverirrung? Der Gestaltwandel moralischen Fortschritts
Die Normalität moralischer Übel
Transformation als Gestaltwandel?
Tiefendynamik und Reaktion
Moral als Ideologie
3.2 Passungsverhältnisse: Die sittliche Einbettung moralischer Überzeugungen
Mismatches und gestörte Passungsverhältnisse
Nichtintentionale Verkettungen
3.3 Der Zeitkern der Moral
Einbettungsverhältnisse und Verflechtungen
Moral als Reflexion von Lebensverhältnissen
3.4 Begriffliches Zwischenspiel: Lebensformen als träge Ensembles von Praktiken
3.5 'Schritt halten': Ein Geflecht wechselseitiger Beziehungen
Überdeterminierte Relationen
Mismatches und Historischer Materialismus
Der normative Richtungsmesser
4 Krise und Konflikt: Die Dynamik sozialen Wandels
4.1 Das aktive und das passive Element
Nicht aus dem Nichts
4.2 Lebensformen als Problemlösungsinstanzen zweiter Ordnung
Probleme als Aufgabe und Schwierigkeit
Problemlösungen
Probleme zweiter Ordnung
Fortschritt als reflexive Problemlösung
Problem, Krise, Widerspruch
Krise und Konflikt
4.3 Stabilität und Instabilität sozialer Formationen
Veränderung
Schwerfälligkeit von Gewohnheiten und Stabilität sozialer Strukturen
4.4 Von der Krise zum Konflikt
Das weltgeschichtliche Individuum und das Proletariat
4.5 Roads not taken: Entwicklungslogiken und Erfahrungsprozesse
Eine schwache, mehrdimensionale Logik der Geschichte
5 Wandel zum Besseren? Fortschritt als sich anreichernder Erfahrungsprozess
5.1 Teil des Problems: Bestimmter und übergreifender Sinn des Fortschritts
Die Ambivalenz des Fortschritts
Fortschritt in einem bestimmten Sinn
Fortschritt im Ganzen
5.2 Teil der Lösung: Fortschritt als Vollzugsform
Das Aufräumen mit dem alten Sinn
5.3 Fortschritt als Anreicherungsprozess
Eine prozessuale Deflationierung des Fortschritts
Erfahrungsblockaden und Problemlösungen
Fortschritt als Abwesenheit von Regression
5.4 Exkurs: Dialektik des Fortschritts
Fortschritt als qualitative Erweiterung von Möglichkeiten
Emanzipation der Frauen
Ambivalenz oder Kehrseite?
6 Verrat am Möglichen: Zur Anatomie der Regression
6.1 Regression in der Psychoanalyse
6.2 Nostalgie, Regression, Rückschritt
Nostalgie und Regression
Nicht jeder Rückschritt ist regressiv
6.3 Faschismus und Nationalismus als Regression
Die Regression aufs Völkische
Regression als abwehrende Renaturalisierung
6.4 Probleme des Regressionsbegriffs
Entwicklungslogik
Paternalismus
6.5 Regression als unangemessene Krisenreaktion und fortschreitende Erfahrungsunfähigkeit