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Galten die Deutschen bis zur frühen Neuzeit noch als freiheitsliebend und schwer zu unterwerfen, verkehrte sich dieses Stereotyp seit dem späten 18. Jahrhundert zunehmend ins Gegenteil. Doch so oft die deutsche Identität seitdem auch mit dem Wert oder Unwert des Gehorsams verknüpft wurde, so hat man bislang nie eingehend untersucht, was Gehorsam in Deutschland in verschiedenen Epochen im Detail bedeutete und wie sich Rechtfertigung und Kritik dieses Werts verschoben. Wurde Gehorsam mit der Autorität der Befehlenden gerechtfertigt oder mit der Rationalität des Befehls? Mit der heroischen Leistung der Gehorchenden oder schlicht pragmatisch damit, dass ein gewisses Maß an Gehorsam für das Funktionieren gesellschaftlicher Prozesse notwendig ist? Was veränderte sich zudem im Diskurs über Gehorsam, je nachdem ob man von Gehorsam gegenüber personaler Macht oder legalen Strukturen spricht? Und in welchem Maße kann Gehorsam als das Produkt einer freien Entscheidung gelten? Martin Wagner verfolgt die Wandlungen des Gehorsamsbegriffs von der Aufklärung bis zu den Protesten der »Querdenker:innen« in der jüngsten Vergangenheit und schafft damit die Grundlage für eine historisch informierte Debatte über ein Reizwort der deutschen Geschichte.
Martin Wagner ist Professor of German an der University of Calgary (Kanada).
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Geschichte eines Stereotyps ........................................9Deutscher Gehorsam in der historischen und psychologischen Forschung ........................................................15Vier Thesen .......................................................22Gehorsam und Pflicht .............................................28Anmerkung zur Vorgehensweise ....................................311. Das Ende des Gehorsams oder die Erfindung des Gehorsams? Von der Aufklärung bis zu den Befreiungskriegen (1750-1815) . . . . . . . . .35Erfindung der Autonomie? .........................................38Gesetzesgehorsam ................................................46Militärischer Gehorsam ...........................................50Grenzen des militärischen Paradigmenwechsels .....................56Gehorsam als Treue ...............................................582. Neuansätze und Kontinuität: Das »kurze« 19. Jahrhundert (1815-1871) . . . 63Alltagsgehorsam ..................................................65Ungleichzeitige Entwicklungen? Militär, Pädagogik, Ehe ..............70Soziale Frage und beginnende Marginalisierung des Gehorsams .......793. Konjunktur und Krise des Gehorsams: Das Deutsche Kaiserreich (1871-1918) . . . . . . . . . . . . . 85Ambiguität des Militarismus .......................................90Die Köpenick-Affäre ...............................................94Marginalisierung des Gehorsams ...................................96Koloniale Fantasien von Gehorsam und Ungehorsam .................1054. Zwischen sozialistischem Paradigmenwechsel und konservativem Geist: Die Weimarer Republik (1918-1933) . . . . . . . .. . . . ..109Sozialistisches Desinteresse am Gehorsam ..........................111Das Ende der Moral ...............................................115Gehorsam in der (Anti-)Kriegsliteratur ..............................118Autoritäres Erbe und neuer konservativer Geist ......................122Liberales und autoritäres Denken in der Jugendbewegung ............1275. Nationalsozialistische Kompromissbildungen: Das Dritte Reich (1933-1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131Gehorsamskritische Rhetorik ......................................134Nationalsozialistisches Desinteresse am Gehorsam ..................137Orte des Gehorsams: Parteiorganisationen, Kindererziehung, Propaganda-Filme ................................................139Nationalsozialistische Neuansätze? .................................143Identität von Führer- und Volkswillen ...............................144Gehorsam und Staatskritik ........................................146Gehorsam des stillen Befehls .......................................1486. Auf dem Weg zum gesellschaftlichen Konsens: Nachkriegszeit und Bundesrepublik (1945-1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153Die antiautoritären 1950er Jahre ....................................154Konservative Gegenströmungen ....................................161Radikale Gehorsamskritik .........................................165Ungehorsam ist anstrengend .......................................167Die konkurrierenden Narrative von »1968« ...........................170Ziviler Ungehorsam ...............................................174Alternativen zum Gehorsam .......................................1807. Diesseits und jenseits des Gehorsams: Die DDR (1949-1990) . . . . . . . . . . . . 185Sozialistischer Gehorsam in den Augen des Westens .................186Gehorsam im sozialistischen Freiheitsbegriff ........................190Faschismus-Theorie ohne Gehorsam ................................193»Die Partei hat immer recht.« Anpassungsprobleme und melancholische Einwilligung ......................................................1978.