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Sexualität als Arbeit polarisiert. In Debatten um Sexarbeit verhandeln Gesellschaften Fragen rund um Moral, sexuelle Normen, Geschlechterverhältnisse und Migrationspolitik. Was in solchen Debatten selten zur Sprache kommt, sind die sozialen und ökonomischen Verhältnisse, in denen Frauen arbeiten, die mit Sex Geld verdienen. Sarah Baumann untersucht das Phänomen der Sexarbeit aus einer arbeits- und geschlechterhistorischen Perspektive. Dazu richtet sie den Blick auf die Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert und fragt danach, wie sich gesellschaftliche Debatten, behördliche Regulierungen und Praktiken rund um die Sexarbeit in urbanen Räumen gestalteten und veränderten. Sexarbeit, so zeigt die Studie, hatte aus Sicht der arbeitenden Frauen eine zentrale haushaltsökonomische Funktion, während politische Akteure sie als 'notwendiges Übel' gleichzeitig essentialisierten und kriminalisierten. Die sogenannte sexuelle Liberalisierung brachte den Frauen nur bedingt mehr Freiheiten, vielmehr festigte sie das Narrativ der Sexarbeiterin als selbstverantwortliches Marktsubjekt. Sexuelle Tabus fielen, doch Frauen in der Sexarbeit blieben unsichtbar und prekarisiert.
Dr. Sarah Baumann arbeitete von 2012 bis 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte am Departement für Zeitgeschichte der Universität Freiburg i. Ü. Zurzeit arbeitet sie als freischaffende Historikerin und als Redaktorin für die Parlamentsdienste der Schweizerischen Bundesversammlung.
Einleitung ...........................................................9 1. Ökonomien der sexuellen Liberalisierung. Neue Perspektiven für die historische Erforschung von sexueller Arbeit .....................12 2. Sexuelle Arbeit, Sexarbeit, Prostitution. Definitionen und Begriffsbestimmungen ........................................21 3. Im Spannungsfeld von Geschlecht, Sexualität und Arbeit. Theoretische Zugriffe ..........................................28 4. Forschungsfragen und Untersuchungsebenen ....................38 5. Quellen und Aufbau der Arbeit ..................................46 I. Erlaubt und doch verboten. Staatliche Regulierungspraktiken ........55 1. Sexarbeit und Frauenarbeit. Soziale und ökonomische Rahmung ..56 Registrierte Sexarbeiterinnen. Umrisse eines sozialen Profils ......57 Eine Frage des Lohns. Zur ökonomischen Wertschätzung von Frauenarbeit ..................................................61 2. Im Rechtskorsett. Sexarbeit im Strafrecht .......................66 Die 'gewerbsmäßige Unzucht'. Rechtsnormen zum Schutz der Sittlichkeit ....................................................67 Von der Sittlichkeit zur sexuellen Selbstbestimmung. Das Sexualstrafrecht im Wandel ....................................70 3. Polizeiposten, Arztpraxis, Erziehungsanstalt. Im Netz der Behörden .....................................................71 Die 'Dirnenkartei'. Der offizielle Lebenslauf einer 'Prostituierten' 72 Die 'Dirnenhaft'. Vom Straßenstrich in die Arztpraxis ...........79 'Liederlich' und 'arbeitsscheu'. Der Devianzdiskurs im Wirtschaftsboom ..............................................81II. Toleranz in Grenzen. Anordnungen im urbanen Raum ...............89 1. Der Straßenstrich im Fadenkreuz. Antworten auf eine moralische Panik .........................................................93 Sexualität, Konsum und die Sehnsucht nach 'Normalität'. Geschlechter- und Sexualitätspolitik in der Nachkriegszeit ........94 Zwingli wendet sich ab. Das Zürcher Bellevue als Sündenbabel .....99 Langsamer Gang und auffällige Blicke. Sexualisierung und Disziplinierung von Frauen in der Öffentlichkeit .................105 2. Quietschende Reifen. Nachtleben und Nachtruhe im Wohnquartier 111 Von der Moral zum Lärm. Diskursverschiebung im Kontext der Motorisierung ................................................112 Das 'Freier-Register'. Konsumenten im Fokus der Behörden ......114 Nachbarschaft in Aufruhr. Quartiervereine mobilisieren sich ......117 3. Sperr- und Toleranzzonen. Städtische Praktiken der Ein- und Ausgrenzung ..................................................123 Sperrzonenverordnungen. Regimeverlagerung vom Strafrecht auf die Städte .....................................................123 Niederlage in Zürich, Sieg in Genf. Sexarbeiterinnen ziehen vor Gericht .......................................................128 4. Domestizierung und Diversifizierung. Zur Verhäuslichung der Sexarbeit .....................................................132 'Dirnenwohnheime' und 'Eroscenter'. Die Aufhebung des Bordellverbots ................................................133 'Massagesalons', 'Zupfstuben' und 'Folterkeller'. Der Aufschwung der Salonprostitution ..........................................140 III. Mitverdienende. Sexarbeit als sozioökonomisches Beziehungsgeflecht 149 1. Tumult der Männlichkeit. Arbeitende Frauen und Männer, die von ihnen profitieren ..............................................152 Von 'echten' und 'genommenen' Zuhältern. Kriminologische Typenbildung .................................................154 Cadillac und Ledermantel. Maskeraden der Männlichkeit .........159 Das Unzuchtsgeld in der Haushaltskasse. Sexuelle Arbeit als Familienökonomie ............................................165 2. Ambivalente Freiwilligkeit. Die Handlungs(ohn)macht der Sexarbeiterinnen ..............................................173 Große Versprechen. Liebe und Abhängigkeit .....................173 Brutale Begleiter. Gewalt und Selbstermächtigung ................1753. Vermitteln und Vermieten. Kuppelei als Gewerbe .................180 Sex auf Bestellung. Der Aufschwung der 'Rufmädchen' ...........182 Ökonomien des Notbehelfs. Das Sexgewerbe als Rente ............189 'Kapitalisten der Unzucht'. Hausbesitzer und Salonbetreiber .....195 IV. Politisieren, skandalisieren, entmystifizieren. Perspektiven von Frauen auf käuflichen Sex ................................................205 1. Unterdrückung und Befreiung. Sexualität und Arbeit in der Frühphase der neuen Frauenbewegung ..........................207 Neue Freiheiten und alte Zwänge. Die 'sexuelle Revolution' als Ansporn und Lüge .............................................209 Nonkonforme Realität. Figurationen des käuflichen Sex in der Ausstellung 'Frauen sehen Frauen' .............................212 2. Bürgerinnenrechte, Hausarbeit, Zwang. Diskursive Erweiterung und Verengung ................................................221 Frauen wie andere auch. Die Mobilisierung der internationalen Prostituiertenbewegung .......................................222 Bezahlte Hausarbeit oder Sklaverei. Die Anfänge einer Aporie .....231 Kein Brennpunkt der Frauenfrage. Feministische Debatten um Sexarbeit in der Schweiz .......................................240 3. Abseits der Politisierung. Das alltägliche Arbeiten ................245 (Aus-)Wege in die Sexarbeit. Geld und Unabhängigkeit ............248 Der soziale Bann. Angst, Stigma und Risiken .....................251 Inszenieren, fürsorgen, befriedigen. Praktiken der Sexarbeit ......255 V. Spannungsreiche Solidarität. Die ersten Fachberatungsstellen für Prostitution, Frauenhandel und Frauenmigration ...................269 1. Die Pionierinnen. Der Verein Aspasie ............................271 Eine antike Kurtisane in Genf. Entstehungsgeschichte ............272 Zwei verschiedene Welten. Spannungs- und Konfliktlinien ........282 2. Ein Leumundszeugnis für Sexarbeiterinnen. Der Kampf um Gleichbehandlung .............................................289 Das 'Certificat de bonne vie et moeurs'. Eine sozialpolitische Sackgasse .....................................................290 Rechtsgleichheit oder Reintegration? Die Petition von Aspasie .....293 Die soziale Fixierung 'der Prostituierten'. Die politischen Behörden nehmen Stellung ..............................................297 3. Der entwicklungspolitische Blick. Das Zürcher Fraueninformationszentrum (FIZ) .................................304Der Fall 'Mimi'. Die Gründung des Dritte-Welt-Frauen- Informationszentrums ...........................................309 Irritation der Freiwilligkeit. Der Diskurs um 'Frauenhandel' ......314 Der politische Unwille. Sexarbeitspolitik als Migrationspolitik .....322 Schlussbetrachtungen ................................................331 Literatur .............................................................347 Ungedruckte Quellen .............................................347 Archivbestände ................................................347 Audiovisuelle Quellen ..........................................349 Interviews ....................................................350 Gedruckte Quellen ...............................................350 Zeitschriften ..................................................350 Zeitungen ....................................................351 Amtliche Publikationen ........................................352 Zeitgenössische Literatur ......................................353 Sekundärliteratur ................................................354 Wörterbücher .................................................354 Monografien, Artikel ...........................................355 Abbildungsnachweise .................................................367 Abkürzungen ........................................................369 Dank ................................................................371