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Ein Mann nimmt sich vor, ein Klavierstück zu lernen und schreibt darüber ein Buch. Nichts könnte auf den ersten Blick langweiliger sein. Wenn dieser Mann allerdings Chefredakteur des britischen Guardian ist, Träger des alternativen Nobelpreises und einer der einflussreichsten Journalisten der westlichen Hemisphäre, wird es schon spannender. Wenn es sich bei dem Klavierstück auch noch um die Ballade Nr. 1 in g Moll op. 23 von Chopin handelt, eines der schwersten Stücke der Klavierliteratur, ist man geneigt in die ersten Seiten hineinzulesen. Und wenn man dann bemerkt, dass sich dieser Mann sehr elegant, klug und unterhaltsam ausdrücken kann, ist man schließlich drin in einem aus allen Perspektiven außergewöhnlichen (und größenwahnsinnigen?) Projekt. Man wird von Rusbridgers Art über Fingersätze und Tonleitern zu schreiben, ebenso gefesselt wie von seinen beruflichen Aufgaben: Da sind die Veröffentlichungen der Wikileaks-Dokumente, Treffen mit Julian Assange, Geiselnahmeverhandlungen in Lybien, der Umbau von Print auf Digital einer Traditionszeitung, der Abhörskandal von News of the World. Nur wenige Schlaglichter, die doch umso deutlicher die Frage stellen, wie man das alles unter einen Hut bekommen kann. Rusbridger will jeden Tag 20 Minuten üben. Ob er das schafft, will ich nicht verraten. Auch nicht, welche Tipps ihm Condoleezza Rice oder Daniel Barenboim mit auf den Weg geben. Nur soviel darf ich nach der Lektüre, die mich sehr bereichert hat, vorwegnehmen: Es geht in „Play it again“ nicht um ein Kunstwerk, sondern um drei. Da ist sicher diese wunderschöne Klavierballade, die das ganze Spektrum menschlicher Emotionen zu berühren scheint. Da ist aber auch das Kunstwerk, dass es ein Mann von dieser Stellung, in einer Branche, die von Aktualität, Schnelligkeit und unvorhergesehenen Ereignissen lebt, es schafft, kontinuierlich Zeit für die Muse aufzubringen. Und dann schließlich das Kunstwerk, über all das in einer Art und Weise schreiben zu können, die auch musikalische Laien völlig in den Bann zieht. „Play it again“ ist eine lesenswerte Aufforderung Kunst in den Alltag zu integrieren. Die Lektüre dieses Buches wäre dafür der erste Schritt.
zum Produkt € 25,00*
Ich habe neulich ein Wochenende in der
"Großwäscherei" von Andor Endre Gelléri verbracht.
Donnerlittchen, und jetzt stehe ich vor dem Problem, dass ich kaum über das Buch sprechen kann, ohne wie ein verknallter Teenager zu klingen. Also seht mir die Schwärmerei mal kurz nach, es geht wirklich nicht anders.
Wie bei allen Büchern aus dem Guggolz Verlag fängt es schon mit Optik und Haptik an: Handschmeichler ist ein schrecklich abgedroschenes Wort, aber irgendwie liegen alle Bücher aus diesem Haus nahezu unverschämt angenehm in den Händen. Fast seidig und weich, dabei ohne künstlichen Schnickschnack, mit bestechend schlichter Gestaltung, feiner Typografie, gutem Papier, Fadenheftung, in der perfekten Größe ...
Man merkt diesen Büchern vom Coverdesign bis zum Text auf dem Rücken einfach an, dass sie rundum klug und liebevoll gedacht und gemacht sind.
Nun zu Gelléri, dieser ungarischen Wiederentdeckung:
Der Autor starb 1945 mit nur 39 Jahren an einer Typhusinfektion im damals gerade befreiten KZ Mauthausen.
"Die Großwäscherei" ist sein einziger Roman und erschien erstmals 1931. Gelléri hat bereits als junger Erwachsener eine beachtliche Anzahl Erzählungen und Novellen geschrieben, stets in dem Gefühl, das abbilden zu müssen, was er gerade vor Augen hatte. Und da er immer auch Brotberufen nachgehen musste, strotzen sie vom prallen Leben der arbeitenden Schicht.
So auch das gerade erschienene Buch "Die Großwäscherei", das bunt schillernd, eine Budapester Arbeiterszene in ihrem eigenen, kleinen Kosmos vor unseren Augen heraufbeschwört. Und vielleicht liegt es daran, dass Gelléri tatsächlich mal in einem solchen Betrieb hat schuften müssen, dass die Gerüche, die Geräusche, der Gestank, der Dampf, die beißenden Laugen, die Hoffnungen und Leiden der Kragenwäscher-Mädchen, der Färber und Waschjungen, der Bügelfrauen und Vorarbeiter tatsächlich vom ersten Satz an so mitreißend beschrieben sind.
Vielleicht liegt es aber auch schlicht und ergreifend an Gelléris erzählerischem Talent.
Und spätestens wenn man das Nachwort der Übersetzerin Timea Tankó liest, wird klar, wie viel kluge Überlegung und übersetzerisches Geschick auch hierbei am Werk waren.
zum Produkt € 22,00*
Der Deutsche Buchpreis ist nicht Alles.
Bereits im Juli 2015 hat der Autor Ralf Rothmann die Nominierung seines Romans "Im Frühling sterben" für den Deutschen Buchpreis abgelehnt. Nicht nur die poetische Absage mit den Worten „Ich möchte lieber nicht“ (ein Zitat aus Melvilles Bartleby, dass ich in der wundervoll illustrierten Ausgabe des Verlags Jacoby & Stuart empfehle) verdient dabei Beachtung, sondern viel mehr noch einer der besten deutschen Romane des Jahres, der nun, wo alle von Frank Witzels "„Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ sprechen, leider aus dem Fokus gerät. Witzel erhält den Buchpreis völlig zu Recht, denn die Prämierung seines irrwitzigen Romans ist ein unbedingtes Bekenntnis zur Vielfalt und Fantasie literarischen Schaffens. An dieser Stelle möchte ich allerdings um den Blick ins Dunkle bitten, jenseits des Rampenlichts dieser Tage.
„Und was ist mit dem, der schießen muss? Was vererbt der?“
Nur wenige Romane habe ich bisher gelesen, in denen (fast) keine Metaphern vorkommen. Rothmann erzählt die Geschichte von zwei Jungen, die in den letzten Kriegstagen 1945 zwangsrekrutiert werden und dann die ganze Grausamkeit des sinnlosen Tötens erfahren mit den Mitteln eines radikalen Realismus. Keine auktorialen Wertungen, keine Euphemismen, keine schillernden Bilder. Und doch liegt in seinen Schilderungen etwas sehr Poetisches. In den sinnlichen Beschreibungen der Natur, den Gerüchen, den Lichtverhältnissen werden Momente der Schönheit gefeiert die dann in einem krassen und schmerzhaften Gegensatz stehen zum Handeln der Figuren. Der einzelne Mensch in Im Frühling sterben ist fremdbestimmt und immer Teil einer alles zerstörenden Maschinerie. Jeder der sich dagegen aufbegehrt und Selbstbestimmung sucht wird zermahlen. Und eben weil Rothmann auf die Mittel der Verfremdung so konsequent verzichtet, entsteht eine Fatalität des Dargestellten, die einerseits hoch spannend ist – auch dort, wo es ‚nur‘ um den Alltag auf einen Bauernhof geht – und andererseits entsetzt, traurig stimmt und verzweifeln lässt.
Romane wie dieser müssen immer wieder geschrieben (und gelesen!) werden, weil sie durch die Erzählungen vom Krieg starke Argumente für einen fundierten Pazifismus darstellen. Rothmann hat mit "Im Frühling sterben" ein herausragendes Beispiel dafür vorgelegt.
zum Produkt € 23,00*